Barrierefreiheit wird Pflicht - Bürde oder Chance?
Ab dem 28. Juni 2025 wird Barrierefreiheit für alle Websites und Onlineshops gesetzlich verpflichtend, die mit Endverbraucherinnen interagieren. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) setzt klare Standards – ohne Übergangsfrist. Dennoch wird dem Thema bisher in zu vielen Unternehmen zu wenig Raum gegeben. Viele wissen nicht, was Barrierefreiheit im digitalen Raum überhaupt umfasst, geschweige denn wie man sie umsetzt.

von Veronika
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21. February 2025
21.02.2025
Dabei ist Barrierefreiheit nicht nur ein gesetzliches Muss, sondern schon lange eine Chance, Inklusion aktiv zu fördern und digitale Angebote für alle zugänglicher zu gestalten. Einen barrierefreien Online-Shop können mehr Menschen nutzen – ein Vorteil für Unternehmen und Käuferinnen zugleich.
Als Agentur haben wir schon mit einigen unserer Kundinnen an Barrierefreiheitsprojekten gearbeitet. In diesem Artikel teilen wir unsere bisherigen Erfahrungen und einen Ausblick auf die Zukunft. Obwohl wir noch einige Herausforderungen auf dem Weg zu der digitalen Barrierefreiheit sehen, können und sollen Unternehmen das Thema frühestmöglich angehen, um rechtliche Sicherheit zu schaffen und möglichst viele Endverbraucherinnen mit ihrem Angebot anzusprechen.
Ein Blick auf unsere erfolgreichen Projekte
Besonders betrifft das Thema digitale Barrierefreiheit die Gewerke Entwicklung und Design. Größere Projekte wie ein barrierefreier Aufbau oder Relaunch einer Website oder eines Online-Shops erfordern aber auch viel Planung. Dafür ist gutes Projektmanagement unverzichtbar.
Der Projektablauf: Klare Ziele und konkrete Umsetzung
Wir haben mehrfach Situationen erlebt, in denen Kundinnen mit dem Wunsch auf uns zukamen, ihre Website oder ihren Online-Shop barrierefrei zu gestalten – entweder im Vorfeld eines Relaunchs oder als Optimierung bestehender Systeme. Ebenso haben aber auch wir Kundinnen bereits aktiv darauf angesprochen, wenn wir Barrierefreiheitspotenzial erkannten.
Der erste Schritt besteht in beiden Fällen darin, eine Analyse durchzuführen, beispielsweise mit Tools wie Google Lighthouse oder spezifischen Plugins. Dabei identifizieren wir Schwachstellen und erstellen eine klare Aufgabenliste, die Design- und Entwicklungsaufgaben definiert.
Zu beachten ist, dass Tools wie Google Lighthouse nur eine Orientierung bieten. Eine eigenständige, manuelle Überprüfung der Website bleibt unerlässlich, um alle Aspekte abzudecken. Während des Projekts arbeiten wir iterativ: Zwischenergebnisse werden regelmäßig überprüft, mit dem Ziel vor Augen. Ein Ziel könnte möglicherweise sein, einen Wert von über 95 von 100 bei Google Lighthouse zu erreichen, bevor die Website an die Kundin übergeben wird. Eine derartige Vorgehensweise hat sich bewährt, auch wenn Herausforderungen unvermeidlich sind.
Das übergeordnete Ziel für uns als Agentur ist, Barrierefreiheit nicht nur als Optimierung zu sehen, sondern direkt als festen Bestandteil bei dem Aufbau neuer Websites und Shops zu berücksichtigen. So wird Barrierefreiheit zur Norm – von Anfang an.

Das Design: Barrierefreiheit als Teil einer guten User Experience
Barrierefreiheit im Design ist weit mehr als nur eine gesetzliche Pflicht – sie ist ein grundlegender Bestandteil einer positiven User Experience. Eine gut gestaltete Website spricht alle Nutzerinnen an. Das beginnt bei der Typografie und Farbwahl: Kontraste müssen so gewählt werden, dass sie auch für Nutzerinnen mit Sehbeeinträchtigungen gut erkennbar sind, während die Schriftgrößen flexibel anpassbar sein sollten. Auch die Usability spielt eine zentrale Rolle. Klickflächen müssen beispielsweise ausreichend groß gestaltet sein, um eine einfache und intuitive Bedienung zu gewährleisten.
Die zunehmenden gesetzlichen Anforderungen rücken das Thema Barrierefreiheit designtechnisch noch stärker in den Fokus – ohne dabei das ästhetische Erscheinungsbild aus dem Blick zu verlieren. Bei neuen Projekten ist es uns wichtig, Barrierefreiheit von Anfang an mitzudenken und in den Gestaltungsprozess zu integrieren. So entstehen Websites, die sowohl funktional als auch optisch ansprechend sind.
Auch bei älteren Projekten lohnt sich eine Optimierung. Mit Google Lighthouse identifizieren wir gezielt Bereiche, die verbessert werden können. Anschließend werden die Maßnahmen mit Rücksicht auf die Corporate Identity (CI) des Unternehmens umgesetzt. Selbst wenn die Einhaltung der WCAG-Kriterien Änderungen am Design erforderlich macht, ist es möglich, eine barrierefreie Seite zu gestalten, sich nicht nur an die Anforderungen unserer Kundinnen angepasst ist, sondern auch funktional und visuell überzeugt.
Die Entwicklung: Flexibilität und technische Optimierung
Die Entwicklung hat die wichtige Aufgabe, Designanforderungen auch von der technischen Seite umzusetzen. Hier spielt das eingesetzte Content-Management-System (CMS) meist eine untergeordnete Rolle, wenn es um Barrierefreiheit geht. Vielmehr kommt es auf die technische Umsetzung im Bereich HTML und Frontend an. Eine flexible Entwicklungsbasis ermöglicht es, auch nachträglich noch Optimierungen vorzunehmen und bestehende Barrieren abzubauen.
Besonders wichtig ist dabei der Einsatz geeigneter Templates. Viele CMS, wie WordPress oder TYPO3, bieten bereits Ausgangstemplates, die erste Schritte in Richtung Barrierefreiheit ermöglichen. Doch diese Grundgerüste sind selten perfekt und bieten Raum für weitere Anpassungen. Entscheidend ist, dass technische Maßnahmen konsequent umgesetzt werden. Dazu gehört beispielsweise eine klare Headerstruktur ebenso wie die Bedienbarkeit der Website ausschließlich über die Tastatur.

Ein Blick in die Zukunft: aktuelle und künftige Herausforderungen
Barrierefreiheit kann und wird bereits erfolgreich implementiert. Wir konnten mit vielen unserer Kundinnen Erfolge im Bereich der Barrierefreiheit erzielen und werden dies auch zukünftig tun. Dabei sind wir aber auch schon auf Probleme gestoßen, die auch in Zukunft eine größere Rolle spielen können und werden.
Ungenaue Gesetzgebung
Dem Gesetz, das Barrierefreiheit ab Juni 2025 zur Pflicht macht, fehlt es leider an genauen Vorgaben für Unternehmen. Das BFSG verweist auf europäische Normen des European Accessibility Acts (EAA), die wiederum auf die WCAG-Richtlinien (Web Content Accessibility Guidelines) in den Stufen A und AA, Version 2.1 bzw. 2.2, zurückgreifen. Da diese Richtlinien sehr zahlreich sind und regelmäßig angepasst werden, haben viele Unternehmen keine klaren Vorstellungen, was konkret und in welchem Umfang umgesetzt werden muss. Es fehlt an einem klaren Benchmark, etwa einer Checkliste mit Mindestanforderungen, die eine strukturierte Umsetzung erleichtern würden. Ähnlich wie bei dem Thema Datenschutz vor einigen Jahren könnte sich die genaue Anwendung der Vorschriften aber erst in den Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes herauskristallisieren.
Technische Abhängigkeiten
Während viele Content-Management-Systeme (CMS) wie WordPress oder TYPO3 bereits umfangreiche Optionen für Barrierefreiheit bieten, stehen solche Lösungen im E-Commerce oft noch aus. Ein Beispiel ist Shopware, das in der anstehenden Version 6.7 erstmals spezifische Funktionen für Barrierefreiheit enthalten soll. Bis dahin bleibt die Umsetzung von barrierefreien Shops oft eine Herausforderung, die stark von technischen Updates und Plugins abhängig ist.
Dabei betrifft dieses Problem nicht nur den E-Commerce-Bereich, sondern auch klassische Websites, die ähnliche Abhängigkeiten aufweisen. Ein wesentlicher Faktor ist die Nutzung von Third-Party-Produkten wie Plugins, bei denen Unternehmen darauf angewiesen sind, dass die Anbieter Barrierefreiheit korrekt implementieren. Fehlen diese Anpassungen oder bleiben sie unzureichend, stoßen Unternehmen an technische Grenzen, die sie ohne Einfluss auf die Weiterentwicklung dieser Produkte nicht selbst lösen können.
Unvollständigkeit bestehender Tools
Tools wie Google Lighthouse bieten einen guten Einstieg, um Maßnahmen für Barrierefreiheit zu überprüfen. Doch sie sind keine umfassende Lösung. Manche Aspekte, wie die Funktionalität von Screenreadern oder die Möglichkeit, Schriftgrößen flexibel anzupassen, werden von solchen Tools nicht erfasst.
Darüber hinaus fehlt es den Tools an einer ganzheitlichen Betrachtung. Selbst wenn Lighthouse eine Bewertung von 100 % anzeigt, bedeutet das nicht automatisch, dass eine Website vollständig barrierefrei ist. Ein Beispiel hierfür sind inhaltsgebende Bilder: Zwar fordert die WCAG einen ALT-Text für Screenreader, doch auch eine sichtbare Bildbeschreibung unterhalb des Bildes erfüllt diesen Zweck – etwas, das Lighthouse nicht erkennen kann.
Diese technische Unvollständigkeit macht es für Unternehmen schwierig, allein auf Tools zu vertrauen. Stattdessen ist eine ganzheitliche Herangehensweise notwendig, um sicherzustellen, dass alle Barrierefreiheitsanforderungen erfüllt werden. Hier unterstützen wir unsere Kundinnen beispielsweise mit gezielten Analysen und Beratungen, um auch über die Möglichkeiten automatisierter Tools hinaus nachhaltige Barrierefreiheit zu gewährleisten
Fehlendes Verständnis bei Kundinnen
Ein weiterer Aspekt ist das fehlende Bewusstsein vieler Kundinnen. Oft ist unklar, was Barrierefreiheit konkret bedeutet und welche Bereiche – von Design über Content bis zur Technik – betroffen sind. Häufig stoßen auch barrierefreie Designanpassungen auf Ablehnung, wenn sie nicht vollständig zur Corporate Identity passen.
Hier sehen wir unsere Aufgabe als Agentur, Kundinnen frühzeitig über die Bedeutung und Anforderungen von Barrierefreiheit zu informieren. Durch gezielte Schulungen und Beratungen können wir nicht nur Missverständnisse vermeiden, sondern auch sicherstellen, dass ausreichend Zeit für eine sinnvolle und gesetzeskonforme Umsetzung bleibt. So schaffen wir eine Win-win-Situation für Unternehmen und Nutzerinnen.
Fazit: Barrierefreiheit als Standard – kein Extra
Barrierefreiheit im digitalen Raum ist ein Ziel, das selten zu 100 % erreicht wird – oft sprechen wir daher eher von Barrierearmut. Dennoch ist es in den meisten Bereichen, wie Websites, Onlineshops, E-Mails oder individuellen Entwicklungen, möglich, signifikante Fortschritte in Richtung Barrierearmut bzw. Barrierefreiheit zu machen. Ähnlich wie bei der Einführung der DSGVO braucht es auch hier Zeit und eine Phase der Anpassung. Wir erwarten, dass die große Umsetzungswelle für Barrierefreiheit erst mit dem Stichtag im Juni 2025 Fahrt aufnimmt. Deshalb ist es umso wichtiger, sich frühzeitig mit dem Thema auseinanderzusetzen, um nicht von dieser Welle überrollt zu werden.
Für erfolgreiche Projekte ist ein grundlegendes Verständnis auf allen Seiten entscheidend: Was bedeutet Barrierefreiheit, und warum ist sie ein Standard, an dem alle gemeinsam arbeiten sollten – unabhängig vom Gewerk? Klare Fahrpläne und Prioritäten erleichtern den Start und schaffen eine solide Grundlage.
Barrierefreiheit sollte nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung betrachtet werden, sondern auch eine Chance, digitale Angebote für alle zugänglicher zu machen. Mit einer frühzeitigen Planung und einem koordinierten Ansatz können Unternehmen nicht nur rechtliche Sicherheit schaffen, sondern auch einen nachhaltigen Beitrag zu Inklusion und Nutzerfreundlichkeit leisten.
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